Die Rückkehr der Legenden

Die anhaltende Indie-Welle als auch der wachsende Retro-Boom sind die Ursache, Kickstarter schließlich macht es möglich. Immer mehr alte und von vielen in schöner Erinnerung gehegte Spieleserien erleben derzeit ihren zweiten Frühling. Oftmals sogar dank des Engagements ihrer damaligen Entwickler selbst, die teilweise Jahre, nachdem sie der Branche eigentlich den Rücken kehrten, es jetzt doch noch einmal wissen wollen. Im Rollenspielbereich bewies in den vergangenen elf Monaten der Dungeon-Crawler Legend of Grimrock, dass eigentlich selbst relativ unpopuläre Spielsysteme im Rückblick einen großen Haufen Fans haben, die dem altbackenen, unkomfortablen Gameplay, das mit Aufkommen der 3D Engines vermeintlich in die Sphären der Geschichte eingegangen war, wieder und auch ein bisschen überraschend, plötzlich doch etwas abgewinnen konnten. In weniger als einem Jahr verkaufte sich das 15 Euro Game über 600.000 Mal. Wäre es ein großer und teurer „kommerzieller“ Titel gewesen, kein großer Hit. Hier hat allerdings ein vier Mann starkes Team zunächst noch in seiner Freizeit gewerkelt und letztlich rein digital über Plattformen wie Good old Games vertrieben. Entsprechend großzügig dürfte das „Gehalt“ der vier Finnen von Almost Human im Nachhinein ausgefallen sein.

Insgesamt sind bisher über 100 Millionen Dollar in Spieleprojekte bei Kickstarter geflossen. Obwohl sie schon lange bestand, wurde die Möglichkeit der Fan-Vorfinanzierung mittels des sogenannten Crowdfundings aber erst vor etwa einem Jahr durch das Projekt einer richtiggehenden Spielelegende so wirklich bekannt. Tim Schafer schuf bei Lucas Arts Meilensteine wie Maniac Mansion, The Secret of Monkey Island oder Day of the Tentacle. In den vergangenen Jahren zeichnete er sich eher verantwortlich für von Fans geliebte aber kommerziell gefloppte Spiele wie das Jump & Run Psychonauts (2005) oder den Genre-Mix Brütal Legend (2009). Als er mit seinem Double Fine Adventure zu Kickstarter ging, rührte Schafer kräftig die Werbetrommel und sämtliche Spielemedien begannen begeistert darüber zu berichten. Der riesige Erfolg, Double Fine Adventure sammelte über 3,3 Millionen Dollar von rund 87.000 Fans, rief seither zahllose Nachahmer auf den Plan. Darunter auffallend oft einstige Urgesteine der Branche, die hier ihre Chance sehen, in die Spieleindustrie zurückzukehren.

Diesen gesammelten Faktoren verdanken wir es letztlich, dass es auch im Bereich der Rollenspiele einige durchaus interessant klingende, angedachte Games in schönster Old-School-Tradition gibt, wie das bereits hier kürzlich im Blog vorgestellte Deathfire. Gleich einen ganzen Stapel spannend anmutende weitere Projekte wird dieser Artikel jeweils kurz beleuchten.

Derzeit in aller Munde ist Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues. Alte Rollenspiel-Urgesteine horchen auf, wer könnte bei diesem Titel sonst dahinter stecken als „Lord British“ höchstpersönlich? Tatsächlich meldet sich Richard Garriott dieser Tage recht häufig in Spielemedien zu Wort. Oft kontrovers und leicht arrogant klingend wettert er gegen heutige Gamedesigner – aber er darf das, denn er schuf mit Ultima und Ultima Online Meilensteine der Spielegeschichte und leitete mit Origin eines der Vorzeige-Unternehmen der Branche. Was auf den Konsolen Final Fantasy war und ist, das war auf dem PC in den 80er und 90er Jahren Ultima, die unangefochtene Nummer 1. Stellte Origin damals die technische Speerspitze der Spiele her und war nicht unerheblich mitverantwortlich für den Hardware Aufrüstwahn der damaligen Zeit, so backt der Multi-Millionär und Hobby-Astronaut heute kleinere Brötchen. Shroud of the Avatar kommt im etwas antiquierten optischen Gewand daher, verspricht aber alte Tugenden wieder zu erwecken, die Ultima damals so populär machten. Sein Kickstarter-Ziel von 1 Million Dollar hat der Titel jedenfalls längst erreicht.

Die stolze Summe von fast 3 Millionen Dollar sammelte Brian Fargo. Er werkelt derzeit an der Fortsetzung seines 1988er Erfolgshits Wasteland. Berühmt wurde der Titel, weil er sich mit seiner postapokalyptischen Welt vom Fantasy-Einheitsbrei abhob und mehr auf ein bedrohliches „Mad Max“-Szenario setzte, in dem das pure Überleben oft die einzige Motivation darstellte. Wasteland gilt als inoffizieller Vorgänger der populären Fallout-Serie, versprühte aber mit auflockernden witzigen Momenten und dem knallharten Gameplay noch seinen eigenen Scharm. Entwickelt wird Wasteland 2 von inXile entertainment, einer Tochter von Bethesda, die zuletzt mit Hunted – Die Schmiede der Finsternis einen kapitalen Bock schossen. Die bereits sehr atmosphärisch wirkende Grafik basiert auf der Unity Engine und wird ähnlich wie das Original, eine Sicht schräg von oben bieten, inklusive eines optional einblendbaren Hexfeldes. Der Spieler steuert eine vierköpfige Party, die sich mit allerlei moderner Waffen zu Wehr setzt. Beides zusammen gibt dem Kampfsystem einen leicht an actionlastige Strategiespiele angelehnten Geschmack.

Noch futuristischer wird es in Shadowrun Returns. Das Cyberpunk Pen & Paper Rollenspiel, in dem zukünftige Technik und Magie aufeinandertreffen und zu dem es auch eine ganze Buchreihe gibt, wurde erstmals im Jahr 1993 in ein Videospielmodul gesteckt. Das Super Nintendo Game erfreut sich noch heute einer großen Beliebtheit. Ein Jahr später folgte ein weiterer Titel für das Mega Drive, der allerdings nicht an das markeneigene Konkurrenzprodukt heranreichte. Das Warten der Fans auf einen würdigen Nachfolger dauerte zunächst bis ins Jahr 2007, in dem Microsoft tatsächlich einen neuen Teil veröffentlichte – in Form eines grottigen Multiplayer-Shooters. Die Spieler schlugen vor Entsetzen die Hände über den Köpfen zusammen und hofften weiter. Ein erster Lichtblick tauchte auf, als urplötzlich Shadowrun Online angekündigt wurde. Die Ernüchterung folgte jedoch auf dem Fuße, das Free to Play (F2P) Game des deutschen Entwicklers Cliffhanger Productions konnte zwar über eine halbe Million Dollar bei Kickstarter einnehmen, wird scheinbar jedoch nur ein billiges Browsergame, das ausschließlich dazu dient, den Spielern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und vielleicht wird ja doch noch was Vernünftiges draus. Mehr Vertrauen genießt Shadowrun Returns vom ursprünglichen Schöpfer des Pen & Paper Originals Jordan Weisman selbst. Die Grafik ähnelt zunächst einmal der von Wasteland 2, spielt allerdings nicht in Ruinen, sondern in modernen High-Tech Städten. Jedoch geht der Rollenspiel-Ansatz bedauernswerterweise ziemlich unter. Die Party wird nämlich rundenweise bewegt, auch außerhalb von Kämpfen, und das Kampfsystem entspricht nach ersten Gameplay-Videos zu urteilen ebenfalls eher dem eines Strategietitels wie Jagged Alliance. Dennoch hat das Spiel knapp 1,8 Millionen Dollar vorab eingenommen und Fans sollten es im Auge behalten.

Wobei sich jedoch auch vor Kurzem sogar noch ein thematischer und als aufwendiger Triple-A versofteter Mitbewerber angekündigt hat: Cyberpunk 2077. Das Papier-RPG war bisher leider noch nie in digitaler Form zu spielen und stand immer ein wenig im Schatten von Shadowrun. Dies könnte sich bald ändern, wenn Cyberpunk 2077, leider wohl auch erst in vielleicht zwei Jahren, erscheint. Es wird übrigens von CD Project RED entwickelt, den Machern von The Witcher 1 und 2. Entsprechend lässt ein erster Trailer bereits richtig Großes erahnen und schraubt die Erwartungen in geradezu schwindelerregende Höhen.

Ein weiterer Name, bei dem insbesondere Hardcore-Rollenspieler aufhorchen, ist Planescape Torment von 1999. Auch bei dessen nun endlich angekündigtem Nachfolger Torment: Tides of Numenera haben wie bei Wasteland 2 Brian Fargo und inXile ihre Hände im Spiel und wollen den storylastigen Horrortrip endlich erneut auferstehen lassen. Bisher gibt es wohl leider keine echten Spielszenen, die gezeigten Konzeptzeichnungen lassen jedoch auf einiges hoffen. Es reichte jedenfalls um nette 2,8 Millionen Dollar von über 50.000 Spendern einzusammeln. Torment soll ebenfalls einen isometrischen Blickwinkel bieten und auf der Unity Engine basieren. Wobei der Spieler dieses Mal in die Rolle eines wahlweise männlichen oder weiblichen Charakters schlüpfen kann. Als Hintergrundsetting dient das Tabletop-RPG Numenera von Monte Cook.

Obsidian Entertainment schuf unter anderem mit Star Wars: Knights of the old Republic 2, Neverwinter Nights 2 und Fallout: New Vegas drei echte Rollenspiel-Highlights als Auftragsarbeit. Ihr letztes Projekt, Dungeon Siege 3, kam jedoch nicht sonderlich gut an, was ich persönlich übrigens nicht verstehe, denn mir gefällt das Hack & Slay Action-RPG ausgesprochen gut. Die Mannen rund um Feargus Urquhart, Chris Parker, Darren Monahan, Chris Avellone und Chris Jones haben mit Project Eternity jetzt aber auch ihr eigenes heißes Eisen im Feuer. Ein weiteres Party-basierendes Rollenspiel mit Iso-Perspektive, welches auf der Dungeons & Dragons Lizenz fußt, klingt zunächst nicht weltbewegend. Grafisch hingegen sieht es schon einiges spektakulärer aus, als die bisher genannten Titel. Das Versprechen, wieder in die Stadt Baldur’s Gate zurückkehren zu können, entlockte bisher über 70.000 Fans das stolze Sümmchen von 4 Millionen Dollar. Tatsächlich klingt Project Eternity in meinen Augen mit am vielversprechendsten. Die Entwickler sind immer noch kontinuierlich im Geschäft und ihre letzten guten Spiele liegen keine zehn, 15 Jahre zurück. Dazu dient das große Baldur’s Gate als offensichtliches Vorbild, welches hier, im Gegensatz zu seinem kürzlich erschienen schnell hin geklatschtem Remake, tatsächlich optisch und gameplaymäßig ordentlich aufpoliert und dem Stand der Technik entsprechen könnte.
Project Eternity 01
Die Ingame-Landschaftsaufnahme zeigt, wie schön die Grafik von Project Eternity werden soll.

Erwähnen möchte ich an dieser Stelle noch zwei weitere Crowdfunding-Projekte, die sich erheblich von den vorgenannten Unterscheiden. Da wäre zunächst Mage’s Initiation, bei dem es sich zur Abwechslung nämlich wirklich einmal um ein Indie-Projekt dreht. Entsprechend niedrig war auch die angestrebte Summe von 100.000 US Dollar, welche übrigens um etwas mehr als 16.000 Dollar überboten wurde. Bei dem Titel handelt es sich um einen Crossover aus Adventure und Rollenspiel im Stil der altehrwürdigen Quest for Glory Reihe von Sierra. Tatsächlich haben sich die heute Himalaya Studios nennenden Entwickler in den vergangenen Jahren durch kostenlose Remakes bekannter Sierra Adventures einen gewissen Namen gemacht. So überrascht es auch nicht, dass Mage’s Initiation grafisch sehr an ein King’s Quest 5 erinnert. Die Original-Schöpfer von Quest for Glory, Lory und Corey Cole, waren mit ihrem sehr ähnlichen Projekt Hero-U: Rogue to Redemption sogar noch ein wenig erfolgreicher und sammelten circa 400.000 Dollar ein. Optisch wird Hero-U sich jedoch gewaltig von den Klassikern unterscheiden, denn es kommt arg cartoonlastig daher. Wer weniger Wert auf Kämpfen und Leveln legt und mehr auf knackige Rätsel steht, der könnte bei diesen beiden Titeln durchaus fündig werden.

Bevor wir Kickstarter den Rücken zukehren und schauen, welche Rollenspiele auch ohne Fan-Finanzspritze auf die Beine gestellt werden können, kann ich mir jetzt nicht verkneifen, noch kurz Shaker: An Old-School RPG zu erwähnen. Denn tatsächlich helfen große Namen nicht immer. Brenda Brathwaite werkelte früher bei Sir-Tech an der Wizardry Serie mit. Zunächst nur als Spieletesterin arbeitete sie sich nach oben und war schließlich sogar als Designerin für Teil 8 tätig. Ihr letztes einigermaßen berühmtes - oder besser berüchtigtes - Spiel war leider Playboy: The Mansion (2005). Bekannt ist sie heute eher unter ihrem richtigen Namen Brenda Garno Romero und somit als Ehefrau von Designer-Paradiesvogel John Romero. Ihr Partner bei Shaker war dann auch ein Kollege ihres Gatten aus alten id Software (Doom, Quake) und Ion Storm (Daikatana, Anachronox) Zeiten: Tom Hall. Dieser war die vergangenen Jahre als selbstständiger Spiele-Berater tätig und schloss sich kürzlich den Romeros bei deren neuer Firma Loot Drop an. Das Artwork von Shaker sah recht gut aus aber letztlich blieben viele Fragen bezüglich des Spiels offen, auch war wohl die gewünschte Summe schlicht zu hoch. Bei etwa 245.000 Dollar zogen Brathwaite und Hall die Reißleine und cancelten nicht nur die Spendenaktion, sondern gleich das gesamte Projekt.

Wer auf dem Computer in die fantastische Welt Aventuriens eintauchen wollte, der konnte dies in bisher fünf recht guten Rollenspielen und einem Adventure tun. Zwei weitere Titel von Das Schwarze Auge sind in der Mache. Da wäre zunächst Demonicon von Kalypso Media. Seit etlichen Jahren in der Entwicklung wurde das Konzept mehrfach komplett umgestülpt. In sechs Monaten soll jedoch ein Spiel in den Läden stehen, das sich optisch leider nur an dem sieben Jahre alten Gothic 3 orientiert und ein sehr actionlastiges Kampfsystem bietet sowie mit 25 Stunden Spieldauer auch nicht gerade ein Rollenspielschwergewicht zu sein verspricht. Einiges spannender verheißt das gerade vorgestellte Blackguards aus der Adventure-Schmiede von Daedalic Entertainment zu werden. Noch ist nicht sonderlich viel bekannt, außer, dass der Titel düsterer als die bisherigen Werke der Hanseaten werden soll und auf rundenbasierte aber dennoch actionreiche Kämpfe setzen möchte, die den Spieler für ausreichende 40 Stunden fesseln sollen.
DSABlackguards
DSA: Blackguards wird das bisher aufwendigste Spiel von Daedalic.

Ubisoft und Indie? Passt irgendwie gar nicht. Aber irgendwer dort hat die Zeichen der Zeit erkannt und ein wenig in den Archiven gegraben, welche tollen alten Lizenzen dort wohl noch so vor sich hin schlummern? Fündig wurde er bei Might & Magic, einer Traditionsserie, die bereits 1986 vom flackernden Licht der Röhrenmonitore abgestrahlt wurde und anno dazumals einer der großen Konkurrenten von Ultima und Wizardry war. Nach Teil 9 im Jahr 2002 wurde es ein wenig ruhiger, es entstanden zahlreiche, teilweise sehr erfolgreiche Spin-offs wie etwa die populäre Strategiereihe Heroes of Might & Magic oder das Ego-Action-RPG: Dark Messiah of Might & Magic. Und jetzt soll es tatsächlich so weit sein, Might & Magic X - Legacy wird kommen! Nicht als riesiger Triple-A Titel mit Hochglanzoptik und 3rd-Person Ansicht, sondern ganz, ganz klassisch mit vier Mann starker Party und rundenbasierten Kämpfen in Ego-Perspektive. Wobei die Grafik bisher eine interessante Mischung aus Das Schwarze Auge: Drakengard und Warhammer Online darzustellen scheint. Inhaltlich soll Legacy übrigens direkt an Teil 6 der Serie anschließen.

Für Freunde traditioneller PC-Rollenspiele stehen also goldene Zeiten ins Haus. Wer stylische Massenware mit endlosen Zwischensequenzen, Skriptereignissen und verwässertem Gameplay im Stile eines Dragon Age, Mass Effect, Kingdom’s of Amalur oder Fable leid ist und es einmal mehr wieder so richtig schön altmodisch mag, der findet in den vorgestellten Projekten etliche interessante Titel, die hoffentlich bei ihrem Erscheinen letztlich auch halten, was sie heuer versprechen. Zwar hinkt die vorgestellte Phalanx an Rollenspielen zum Großteil technisch hoffnungslos hinterher, werden jedoch in vielen Fällen auch nur als Download und nicht zum Vollpreis erscheinen. Das Motto lautet einstimmig; zurück zu den Wurzeln und spielerischer Substanz. Genau das also, was sich viele alteingesessene Zocker seit langer Zeit wieder wünschen, ein RPG zum Eintauchen und sich Reinbeißen.

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